Jul 25

rat race

Leserbrief zu «Ungeschlagen angeschlagen» vom 25.07.05

Zurecht beschreibt Lance Armstrong die Tour de France als Metapher für das Leben. Man könnte sie auch als «rat race» bezeichnen, ein Ausdruck, der oft stellvertretend für die Leistungs- und Konkurrenzgesellschaft gebraucht wird. Mich nervt Floyd Landis’ Kritik an seinem «Ziehvater», dem er viel zu verdanken hat (Lance hatte ihm z. B. die Lektion erteilt, dass bei jedem Wetter trainiert wird). Der argwöhnische Ton in der europäischen Presse und die ewigen Dopinggerüchte weisen darauf hin, dass Lance Armstrong für die europäischen Radrennfahrer der amerikanische Albtraum war.

Wenn seine athletische Ueberlegenheit einzig auf die mentale Stärke, die ihm die Auseinandersetzung mit einer lebensbedrohnenden Krankheit bescherte, zurückzuführen ist, müsste man vor Neid und Ehrfurcht erblassen – mit Doping oder einer Frankenstein-Behandlung in der Onkologie könnten viele wohl besser leben… Beruht seine Symbiose mit dem Fahrrad einzig auf wissenschaftlicher Datenanalyse – oder wurde ihm beim Entfernen der Hirntumoren etwa ein Chip eingepflanzt? Die Tour de France spiegelt auch die Geschlechtsrollen des wirklichen Lebens: die wichtigsten Machtkämpfe tragen die Männer unter sich aus, die Frauen sind zuständig für’s Küsschen auf dem Podest; die Helden kriegen die besten Frauen und den Neid der Loser.

Es ist unglaublich – wie im Märchen: Der Drachentöter (der den Krebs besiegt hat) wird mit der Prinzessin belohnt (verkörpert durch Rockqueen Sheryl Crow)! Erhält er noch ein Königreich? Warten wir’s ab. Womöglich wird er Gouverneur von Texas oder gar Präsident! Ein Held ist er schon deshalb, weil er in seinen Büchern sachlich über Hodenkrebs und In Vitro Fertilisation schreibt («gewöhnliche» Männer erleben solches als Angriff auf ihre Männlichkeit) und weil er mit seiner Stiftung (LAF) die Krebsforschung vorantreibt und für viele KrebspatientInnen Vorbild ist. Ich freue mich auf sein nächstes Buch.