Jun 04

Verkapptes Madonnenbild ?

Leserbrief zum Artikel „Busen des Anstosses“ v. Michèle Roten über „Are you mom enough?“ im TIME, Magazin 22

Das Ehepaar Martha und Dr. Bill Sears hat vor dem Bestseller „The Baby Book“ einige Bücher  uber attachment parenting veröffentlicht, auch eines auf evangelikaler Grundlage. Beim Ehepaar in der Doku, wo die 6 und 7 jährigen Söhne zuhause unterrichtet und noch gestillt werden, handelt es sich mit grosser Wahrscheinlichkeit um Evangelikale – in den USA wird Homeschooling vorwiegend von den evangelischen Fundis praktiziert!

In der Comedy-Serie „Little Britain“ gibt es eine Episode, in der der erwachsene Sohn noch gestillt wird – vielleicht haben die Comedians jene Doku auch gesehen und führten das v. den Sears propagierte „extended breast-feeding“ ad absurdum.

Was würde Sigmund Freud wohl zum umstrittenen Cover sagen?

Vormutlich irgendetwas über die oedipale Phase und dass vor Beginn der oedipalen Phase abgestillt werden sollte. Michèle Roten fragt sich, ob es etwas verändern würde, wenn es ein Mädchen wäre. Ich glaube schon, ich bin auch überzeugt, man wählte absichtlich einen nuckelnden Jungen, und auch absichtlich einen in militärischen Hosen, weil diese ein bisschen machohaft sind, denn weibliche Unterwürfigkeit ist trotz des selbstsicheren Blicks der Mutter gefragt. Die versteckte evangelikale Botschaft dahinter könnte sein: Frauen gehören den Männern, die Söhne sind Statthalter des Vaters und dürfen gegenüber der Mutter kleine Controlfreaks werden, ihre Kontrolle über die Mutter darf ruhig so weit gehen, dass diese sich nie von ihrem  Vater scheiden lassen darf – da wird sich Vitus Huonder aber freuen! In der Broschüre „Familie ist Zukunft! gegen Wertezerfall und Genderwahn“ von Zukunft.ch schreibt Bischof Huonder:die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau ist die grösste Hilfe, die man Kindern bieten kann.

Sie müssen mit beiden Elternteilen zusammen wohnen, aufwachsen und leben. Zu diesem Zwecke müssen die Eheleute ermahnt werden, die tiefe Bedeutung und die Sakramentalität ihres Ehebundes niemals aus den Augen zu verlieren.

Mit einem Mädchen, das durch zu langes Stillen sogar bisexuelle oder gar lesbische Tendenzen entwickeln könnte (was die Evangelikalen veabscheuen) würde die Botschaft  „till death do us part“ nicht richtig funktionieren. Auch ein katholisches Madonnenbild mit einem weiblichen Säugling wäre seltsam –  Ist das TIME-Cover also ein verkapptes modernes Madonnenbild? Das vermitteln soll: Nix da mit Kindern von verschiedenen Vätern und jungen Toyboys im Alter, wie es der katholische Popstar Madonna praktiziert -ihr Auftritt wurde schliesslich auch schon v. katholischen Fundis verboten.

Und nix da mit der katholischen und bisexuellen Gianna Nannini, die sich mit 54 inseminieren lässt… Natürlich drängt sich die Fage nach Vereinbarkeit des langen Stillens mit dem ehelichen Sexualleben auf : zum attachment parenting gehört auch das Co-sleeping  – in Anlehnung an Naturvölker (oder Entwicklungsländer, wo schlicht nur ein einziger Raum zur Verfügung steht). Die Eltern können sich natürlich für Sex aus der Familenpfanne schleichen. Anthropologen haben festgestellt, dass lange Laktation bei Naturvölkern auch der Familienplanung dient, so dass sie nur etwa alle fünf Jahre Kinder haben. Schulmediziner glauben nicht daran, aber unter La Leche Liga-Müttern gibt es viele, die dank extended breastfeeding on demand (ohne Nuggi) 2 bis 3 Jahre ohne Verhütungsmittel nicht schwanger wurden. Zyniker behaupten, der Verhütungseffekt hänge damit zusammen, dass solche Eltern wenig oder keinen Sex hätten, die kennen wohl nur jene Völker, bei denen Sex während der Laktation verboten ist oder sie haben verinnerlicht, dass Mütterlichkeit und Erotik irgendwie nicht miteinander vereinbar sind. Die Jungfrauengeburt  des neuen Testaments begünstigt eine Zweiteilung der Frauen in keusche Mütter und Nutten.

Roten schreibt, es sei schön, nach dem Abstillen seinen Körper wieder für sich zu haben, hat was – aber gemäss den religiösen Fundis gehört der Körper einer Mutter ihrem Ehemann, das ist so bei den ultra-othodoxen Juden, den Islamisten ,den othodoxen Christen, den Stockkatholischen , Pietisten und wie auch immer sie heissen mögen. Beim Slogan „mein Bauch gehört mir“ der Abtreibungsdebatte ging es darum, dass die Frau über ihre Sexualität bestimmen darf und nicht einfach Lustobkjekt und Gebärmaschine des Mannes sein soll, aber für den Erfolg der Fristenlösung sorgten die Ja-Stimmen der Männer. Philosophen wie Markuse und Satre lehnten die Ehe als Symbol des Kapitalismus und Besitztums ab – aber diese Theorien  von Männern nützten den Männern und schafften die Moralkeule gegen promiskuitive Frauen keineswegs ab.   Die Tendenz, Kinder als Kontrolle über die Frauen einzusetzen, nimmt wieder zu – als Gegenströmung gegen die Fortschritte der Emanzipation. Ein Beispiel dafür ist die Schluerpädagogik, in der es vordergründig ums Kindswohl geht – wenn Schluer aber in seinen Traktaten gegen die Frühsexualisierung im Kindergarten von der Grandiosität einer Ehe, die bis zum Tod dauert, schreibt,verrät er sich selbst als Frömmler.

Sears und Schluer werden als Antifeministen kritisiert, weil sie Frauen über die Kinder derart domestizieren wollen, dass sie auf eine eigene Karriere verzichten, kein eigenes Einkommen haben und somit Leibeigene des Gatten werden.

Rousseau hatte sich fürs Stillen eingesetzt, das passte gut zur romantischen Verklärung der noblen Wilden, später wurden Ammen zum Statussymbol der Reichen. In den Fünfzigerjahren war die Stillrate in den USA nur bei 20 Prozent, was 1956 zur Gründung der La Leche Liga führte. Als die LLL in den Achtzigerjahren die Schweiz erreichte, wurde hierzulande zu wenig bekannt, dass die Gründerinnen aus kinderreichen Familien einen christlichen Hintergund hatten (Christian Family Movement).

Die Botschaft des TIME-Covers ist vordergründig langes Stillen, hintergründig wäre sie in diesem Sinne die intakte christliche Familie.