Bezirksreform

Dass die Bezirksreform im Grossrat harte Kämpfe auslöste, verwundert mich keineswegs. Für heisse Köpfe sorgte vor allem die Reduktion der Regierungsstatthalterämter. Dass das Modell mit höchstens 8 Statthaltern gesiegt hat, freut mich. Beim Amt des Regierungsstatthalters kommt viel Macht zusammen, was die Gefahr von Machtmissbrauch und Vetternwirtschaft in sich birgt – im Extremfall bedeutet dies vielleicht sogar Korruption, Begünstigung und Anwenden von sogenannten «ungeschriebenen Gesetzen», die es in ländlichen Gegenden leider oft noch gibt (Beispiele: Aktion Kinder der Landstrasse, Fall von Lüthiwil) Bei meiner wilden Kandidatur vor einem Jahr hatte ich auch den Hintergedanken, die Bezirksreform veranzutreiben.

Durch Gesetzesreformen im Familienrecht werden die Aufgaben des Statthalters erweitert (neues Scheidungsrecht / häusliche Gewalt als Offizialdelikt). Auf dem Land herrscht unterschwellig noch oft so etwas wie ein christlich-fundamentalistisches Familienbild mit Scheidungs- und Wiederverheiratungsverbot . Durch Verzögern, Hinundherschieben der Verantwortung zwischen Vormundschaftsbehörde, Statthalter und Gericht kann die (im neuen Scheidungsrecht zwar abgeschaffte) Schuldfrage indirekt über die Kinder – d. h. durch deren Anhörung – wieder eingeführt werden.

Der Seftiger Statthalter bezeichnet den Statthalter als ständigen Krisenmanager, bei Familiendramen benötigt dies aber extrem viel Fingerspitzengefühl – und gerade in diesem Bereich haben viele Statthalter beim Krisenmanagment selbst eine Krise; in vielen Fällen wurden die Konflikte verschärft, Proeskalation statt Deeskalation betrieben, gelegentlich gar mit Toten, Verletzten oder Kollateralschäden. Die Gegner der Bezirksreform führten an, das bisherige System habe sich gut bewährt – gerade fürs Familien-Krisenmanagement trifft dies nicht zu – Schreibtischentscheide sind in solchen Fällen vielleicht weniger gefährlich als der Entscheid eines zu bürgernahen Statthalters, der sich in den Strudel einer bestehenden Eigendynamik einziehen lässt, weil er den einen oder andern der Beteiligten zu gut kennt. Im Fall von Lüthiwil im Emmental (1906) war der Statthalter gar am Vertuschen eines Mordes beteiligt (ein reicher Bauernsohn hatte ein armes Verdingmädchen geschwängert und umgebracht)

Zur Verteidigung  der heutigen 26 Regierungsstatthalterämter wurde angeführt, die Statthalter seien für Gemeindebehörden ein wichtiger Ansprechpartner – was aber wenn diverse Gemeindevertreter (so geschehen im Amt Fraubrunnen) den Statthalter kritisieren? Wenn der Statthalter sich als König gebärdet, wird er erst recht zementieren, denn für ihn stimmt dann die Hierarchie nicht mehr, wenn er von seinen Untertanen Kritik einstecken muss. Bei meiner Anmeldung als wilde Statthalterkandidatin stellte ich fest, dass der Statthalter oft gefürchtet wird, einige BürgerInnen sind gar der Meinung, den dürfe man nicht kritisieren, weil man sonst mit einem FFE entsorgt werden könnte. Die Nachteile vieler verschiedener ländlicher Obrigkeiten kann man bereits bei Kleist und Keller nachlesen.

Leserbrief zu «Bezirksreform» (Bund 24. – 30. 4.2004)

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